Weil oft die Konkurrenz fehlt, sucht Triathletin aniela Ryf neue Herausforderungen. Das birgt Tücken
Nach drei Jahren auf der Langdistanz ist ihr Palmarès komplett: Weltmeisterin auf Hawaii, Europameisterin, Weltmeisterin über die halbe Ironman-Distanz und die mit einer Million Dollar dotierte Triple-Crown-Serie hat Daniela Ryf auch gewonnen. Noch nie zuvor hat eine Athletin die Szene so beherrscht wie die Solothurnerin, die am Samstag beim Ironman auf Hawaii den dritten Sieg in Serie anstrebt. Zwar übt sie sich vor der ultimativen Herausforderung in Zurückhaltung, doch selten waren die Karten so klar verteilt wie in diesem Jahr. Kommt hinzu, dass mit Mirinda Carfrae die einzige Athletin fehlt, die Ryf auf Hawaii schon besiegen konnte. Die Australierin wurde im August erstmals Mutter.
Selbst Dominatorin Ryf stellt sich darum die Frage, wer ihr gefährlich werden könnte, und nennt dann die Australierin Sarah Crowley, die Finnin Kaisa Sali und die Amerikanerin Heather Jackson. Doch anders als Ryf fehlt ihnen die Gewissheit, in allen drei Disziplinen – bei den 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer auf dem Rad und 42,2 Kilometer Laufen – zur Weltspitze zu gehören. So entstehen zwar demütige Sätze, die bei genauerer Betrachtung aber auch aufzeigen, in welchen Sphären Ryf sich bewegt: «Ich glaube nicht, dass ich als Erste aus dem Wasser komme. Ausserdem mag ich es, zu Beginn des Radfahrens die Spitze zu jagen.» Denn danach setzt sie sich ohnehin meist in die Einsamkeit ab.
Wer weiss, unter welchen Umständen Ryfs Erfolge entstanden sind, erhält eine Ahnung davon, wie sehr sie der Konkurrenz entrückt ist. Vor einem Jahr reiste sie verunsichert nach Hawaii, nachdem sie drei Monate zuvor erstmals ein Rennen hatte aufgeben müssen. Trainer Brett Sutton sprach im Vorfeld davon, dass sie «mental schlecht drauf» gewesen sei. Das Resultat? Ryf gewann, verbesserte den Streckenrekord auf 8:46:41 Stunden und sprach danach vom «perfekten Rennen». Bei ihrem Sieg vor zwei Jahren hatte sie mit Periodenschmerzen zu kämpfen. An einem Tag, von dem sie sagt, sie würde ihn am liebsten im Bett verbringen, gewinnt sie eine der härtesten Prüfungen des Sports. Es ist auch Zeugnis davon, wie sehr Schmerz sie antreibt.
Mein Körper, die Maschine
Ihren Körper versteht Ryf als Maschine, die es heranzuzüchten gilt. «Schmerz ist das Zeichen, dass ich in ein neues Level vordringe. Dass ich mit meinem Körper eine Grenze überschreite, zu der ich vorher keinen Zugang hatte», sagte sie einmal dem «Magazin». Bis zu sieben Stunden trainiert sie täglich und geht dabei fast immer an ihr Limit, oder sogar darüber hinaus. Ryf erklärt das so: «Je mehr ich im Training an die Grenzen gehe, desto weniger muss ich es im Wettkampf tun.» Die Frage, wieso sie sich diesen Schmerzen überhaupt aussetzt, stellt sie sich nicht. Sie zelebriert sie sogar. Vielleicht lenkt sie aber auch davon ab, dass sie nach einer Herausforderung sucht.
Beim Triathlon geht es nicht darum, möglichst schnell zu sein, sondern das bestmögliche Rennen unter den existierenden Umständen zu zeigen
Für kurze Zeit hatte sie den Weltrekord als solche betrachtet. «Ich habe gemerkt, dass neben der Form zu viele Faktoren einen Einfluss haben, die nicht in meinem Einflussbereich liegen», sagt sie und zählt Startzeit, Wind, Temperaturen und Wetter auf. «Beim Triathlon geht es nicht darum, möglichst schnell zu sein, sondern das bestmögliche Rennen unter den existierenden Umständen zu zeigen. Das habe ich erkannt.» Ein Satz, der ihr ganzes Dilemma aufzeigt.
Wenn Leistungen nicht mehr mess- und vergleichbar sind und der stärkste Gegner das Selbst ist, werden fiktive Grenzen zur Maxime, von denen niemand wissen kann, wo sie liegen. Angetrieben vom Ehrgeiz, der sie aufzufressen droht, laufen Athleten wie Ryf dann Gefahr, sich in ein eisernes Gefängnis aus permanenter Überforderung zurückzuziehen. Möglicherweise besteht ihre nächste und grösste Herausforderung darin, genau das zu verhindern.
Daniela Ryf sagt vor dem Ironman auf Hawaii: «Ich habe das Gefühl, dass ich mein Maximum noch nicht erreicht habe.» Es ist eine beängstigende Erkenntnis – für die Konkurrenz, aber auch für sie selbst. «Dieser Ehrgeiz macht Champions aus. Aber es ist auch das, was sie bricht», sagte Trainer Sutton vor einem Jahr. Es ist als Warnung vor dem Rückzug in das eiserne Gefängnis zu verstehen.